Für die Zukunft des Seminars wünsche ich mir mehr kollaborative Forschung. In dieser Hinsicht bin ich für das Studium am Seminar im Jahr 2030 positiv gestimmt, denn wie ich finde, sind wir auf dem richtigen Weg dieses Ziel zu erreichen.
Mein Studium der Kulturanthropologie hat erst in diesem Semester begonnen. Ein Punkt, welches mir schnell klar geworden ist, ist die Praxisnähe in diesem Fach. In meinem Bachelorstudium (Soziologie und Nahoststudien) an der Universität Basel konnte ich die Nähe zur Praxis nur im Rahmen der Seminararbeiten und die hier verwendeten gesellschaftswissenschaftlichen Methoden erleben. In Kulturantrhopologie scheint dies anders zu sein, denn in jedem Seminar oder in jeder Übung in diesem Semester hat mindestens eine Exkursion stattgefunden und in vielerlei Hinsicht sind experimentelle Herangehensweisen an ein bestimmtes Thema beliebt. Mir gefällt diese Praxisnähe und ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Kulturanthropologie in Basel diese Besonderheit der Praxisnähe beibehält und im besten Fall weiter ausbaut.
Zwischen all den Seminaren und Übungen, welche ich dieses Semester belegt habe, finde ich Alain Müllers Seminar besonders eindrücklich und beispielhaft dafür, um meine Wünsche und Visionen für die Zukunft am Seminar der Kulturanthropologie zu veranschaulichen. Alains Seminar heisst „Kulturanthropologie als Mediation. Zwischen Grenzobjekten und Praxisgemeinschaften“. Ich muss zugeben, dass ich zu Beginn des Herbstsemesters skeptisch war, denn in der ersten Stunde stellte und Alain eine Forschungsarbeit vor, welches kollaborativ ist. Soll heissen, die Forschungsperson involvierte alle beteiligten Akteure in den Forschungsgegenstand und machte dabei auf ein gesellschaftliches Phänomen aufmerksam, indem er zusammen mit den Akteuren die Forschung auf die Beine stellte, um im Anschluss Lösungswege für die Problematik zu finden. Meine Kritik war, inwiefern solch eine Forschungspraxis wissenschaftlich seriös sein kann und ich empfand eine solche Forschung als eine journalistische Arbeit, als dass von einer wirklichen Forschung die Rede sein könnte. Als ich im Laufe des Semesters meine Kritik reflektiert habe, wurde mir klar, wie ich in meinem Bachelorstudium vom klassischen Positivismus im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit beeinflusst wurde und eine bestimmte Vorstellung von Objektivität habe, welche die Vogelperspektive einnehmen soll.
Mittlerweile stelle ich diese Sicht in Frage und mir wird eines deutlich: Wenn ich die Vogelperspektive einnehme und möglichst positivistisch und objektiv forschen soll, geht mir doch so vieles verloren. In der Vogelperspektive kann ich lediglich prägnante Ereignisse fassen, die nur von oben herab sichtbar sind. Wenn ich aber die Perspektive wechsele und auf die Erdoberfläche gehe, wird doch viel mehr sichtbar, was ich von oben herab vielleicht gar nicht wahrnehmen würde. In diesem Sinne wünsche ich mir für die Zukunft des Seminars, dass wir auf diesem Weg bleiben und die praxisnahe Forschung weiter ausbauen. In Gesprächen mit jungen Akademiker*innen kann ich diesen Wunsch auch wiedererkennen.
Beispielsweise sagte mir ein Kollege vor nicht so langer Zeit: „Was bringt mir denn die ganze Forschung und meine ganzen Analysen, wenn ich in der Praxis nichts verändern kann.“ Auch meines Erachtens ist es leicht am Schreibtisch zu sitzen und sich die besten Analysen auszuarbeiten, ohne aktiv zu werden. Doch was bringt dann die ganze gesellschaftswissenschaftliche Kritik, wenn gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse damit bestehen bleiben? Für die Zukunft des Studiums am Seminar der Kulturanthropologie in Basel bin ich daher optimistisch gestimmt.
Ich denke wir sind auf dem richtigen Weg das veraltete wissenschaftliche Verständnis zu dekonstruieren und eine kollaborative und transformative Forschungspraxis zu stärken. Dies kommt auch dem allgemeinen Wunsch in der Wissenschaft entgegen, mehr Interdisziplinarität zu stärken und somit neue Perspektiven für die Forschung und Entwicklung zu etablieren. Gewiss gibt es Herausforderungen der kollaborativen Anthropologie, wie zum Beispiel die Frage wer mit wem zusammenarbeiten will oder kann. Die Intention der Forschungsperson ist in dieser Hinsicht bestimmt ausschlaggebend die kollaborative Forschung in eine bestimmte gewünschte Richtung zu lenken und dabei bestimmte Akteure auszuschliessen. Dies ist eine Gefahr, die wir nicht unbeachtet lassen können. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass Aushandlungsprozesse und eine ständige kritische Reflexion der Forschungspraxis diesem Problem entgegenwirken kann.
