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Wir hatten es in diesem Kolloquium bereits davon: Kulturanthropologie ist ein Fach, das sich selbst reflektiert und versucht, wie ein Seismograph Gegenwärtiges aufzuspüren. Es liegt also nahe, dass in den nächsten zehn Jahren neue Diskurse entstehen und andere in den Hintergrund rücken werden, neue Forschungsmethoden an Relevanz gewinnen und andere verworfen werden. Die Frage, die mich deshalb hier beschäftigt, dreht sich weniger um das «Was» als um das «Wie». Wie werden Menschen im Jahr 2030 im Seminar ausgebildet werden? Welche Werkzeuge werden sie an die Hand kriegen? Wie werden sie sich neues Wissen und Fähigkeiten aneignen?

 

Ursprünglich habe ich an der Fachhochschule für Gestaltung und Kunst in Basel Prozessgestaltung studiert. Dort ging es zu einem grossen Teil genau um diese «Wie». Wir Studierenden konnten – und mussten – unser Studium selbst gestalten. Es gab nahezu keine Pflichtveranstaltungen, gelernt wurde in Workshops und vor allem in individuellen, kollektiven oder institutionellen Projekten. Einziges konstituierendes Element waren die Moduldokumentationen, die wir alle zwei Monate zusammenstellten und mit unseren Coaches besprachen. Darin haben wir zusammengefasst und reflektiert, was wir im vergangenen Modul gelernt, gebaut, geschrieben, gelesen und verpasst haben, und wie wir weiterstudieren wollten. Nicht ohne Grund wird auch gesagt, dass am HyperWerk (so heisst das Institut) Freiheit studiert wird und genau das erlebte ich zugleich als grossartig und überfordernd. Ähnlich wie auch bei der Kulturanthropologie tastete ich mich an Themen und Methoden heran: Für mich drehte sich während des Studiums viel um die Frage, wie gestalterische Praxis in Gesellschaften eingreifen kann. Methodisch bewegte ich mich viel im öffentlichen Raum. Ich begann mit anderen Menschen im Winter Basler Brunnen zu heizen, gründete die zukünftige Schweizer Armee für Gemeinschaft und Frieden oder entwarf eine alternative Währung, die Menschen zum Dialog über Geld einlud.

Nun geht es hier aber nicht um meine bisherigen Erfahrungen, sondern um das Seminar im Jahr 2030. Doch für mich lassen sich Brücken in verschiedene Richtungen schlagen – auch wenn ich nicht hoffe, dass das Seminar zu einem zweiten HyperWerk (so der Name des Instituts an der HGK) oder umgekehrt wird. Fachhochschulen und Universitäten unterschieden sich in vielen Punkten und dies auch seine guten Gründe. Und wie bereits angetönt ist das mit der Freiheit auch nicht nur einfach. Dennoch stelle ich mir vor, dass beide Seiten mehr voneinander lernen und profitieren könnten, als sie es – meiner Einschätzung nach – bis anhin tun: Während ich die sehr praktischen Zugänge des Studiums am HyperWerk schätzte, vermisste ich die methodischen Werkzeuge, um meine Projekte in einem gesellschaftlichen Kontext verorten zu können. Ich wünschte mir mehr Werkzeuge, um meine eigenen Positionen zu reflektieren, mögliche Anknüpfungspunkte zu finden und die Veränderungen, die wir prototypisch erprobten, besser beobachten, messen und verstehen zu können. Zu oft fühlte es sich so an, dass wir im Studium aufs Geratewohl hin gestalten – ohne wirklich den Kontext zu verstehen (auch wenn viel darüber gesprochen wurde) und auch ohne gezielt zu beobachten, ob und was sich durch unsere Objekte, Projekte oder Interventionen veränderte.

Im universitären Kontext erlebe ich manchmal das umgekehrte Gefühl: Dass wir aufs Geratewohl etwas erforschen und analysieren, Interviews machen und Arbeiten schreiben, ohne eine Idee zu haben, welche Form dies schliesslich annehmen könnte. Wir gehen oft gar nicht erst davon aus, dass es konkrete Auswirkung auf die Gesellschaft und den Alltag von Menschen haben könnte. Nun kann man sagen, dass wir am Studieren sind und es deshalb auch ganz berechtigt ist, Objekte zu gestalten oder Seminararbeiten zu schreiben, die neben dem Lerneffekt keinen Nutzen haben. Und klar sind die Aufgaben und Kompetenzen von Wissenschaft und Gestaltung andere. Doch für stellt sich dennoch die Frage: Was wäre, wenn wir – gerade in der Kulturanthropologie – die Trennlinien zwischen Forschen und Gestalten etwas aufweichen und nach möglichen Verbindungen suchen würden?

Dies könnte einerseits praktisch zu gemeinsam Lehrveranstaltungen zwischen Gestaltung – beispielsweise Modedesign, Grafik, Industriedesign, Szenografie – und Kulturanthropologie führen oder sich in kollaborativen Projektarbeiten zwischen Studierenden aus unterschiedlichen Studienrichtungen manifestieren.

Andererseits denke ich, dass gestalterische Werkzeuge in der Kulturanthropologie – auch als Methoden zum Forschen erprobt werden könnten: Rückblickend waren in meinem Studium am HyperWerk die einzelnen Projekte eigentlich immer zugleich Handlungs- und Forschungsfeld. Eine Währung zu entwickeln bedeutete, dass ich mich erst mit Geld an sich beschäftigte. Zugleich lernte ich im Entwurfsprozess andere Dinge über Geld und wie Menschen dieses nutzen, als wenn ich ausschliesslich Bücher und Artikel darüber gelesen oder Interviews dazu geführt hätte. Im vergangenen Semester hier am Seminar entwickelten wir in einer Übung – wenn auch nur theoretisch – Interventionen in Machtverhältnisse im Alltag. Wir mussten uns konkrete mögliche Eingriffe im öffentlichen Raum überlegen.

Dass bei solchen Aktionen oder bei gestalterischen Projekten mehr ins Feld «eingegriffen» wird, als wenn eine teilnehmende Beobachtung gemacht oder anhand von Interviews geforscht wird, versteht sich von selbst. Doch gerade die Kulturanthropologie hat meiner Meinung nach gute Werkzeuge, um dieses Eingreifen und die eigene Position im Feld nicht nur zu reflektieren, sondern eben auch gezielt als Quelle für neue Erkenntnisse zu nutzen.

 

Und so kann ich mir vorstellen, dass die Studierenden im Jahr 2030 im Rahmen ihres Studiums mehr zeichnen, bauen, kochen, spazieren, fotografieren oder singen und so gestaltend forschen und forschend gestalten werden. In den Worten des Sozialanthropologen Tim Ingold, dass sie mehr lernen, durch das Machen zu denken – «thinking through making».